29. SONNTAG im Jahreskreis

 

Alle, die sich über das Leben und die Entwicklung von Europa und von unserer modernen Gesellschaft Gedanken machen, sind sich darüber einig: Wir erleben im Augenblick eine Glaubenskrise. Das hat sich schon lange angebahnt. Schon im 19. Jh. hat der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche gesagt: „Gott ist tot!“ Damit hat er nicht gemeint, dass Gott nicht existiert, sondern, dass Gott im Leben der Menschen keine Rolle mehr spielt.

 

„Gott ist tot“, er ist nicht (mehr) in der alltäglichen Lebensweise der meisten Menschen anwesend. In der neuen europäischen Charta, im europäischen Grundgesetz, darf der Name „Gott“ sogar nicht mehr vorkommen. Religion wird zur Privatsache deklariert, d.h. man will Gott in die kleinen Kämmerchen des Privaten einsperren, weil er in Staat und Gesellschaft nichts zu suchen hat. Wer Lust hat, kann an einen Gott glauben, aber für die Gesellschaft hat das keine Bedeutung. Für den Staat ist an erster Stelle wichtig, dass du deine Steuern zahlst. „Gib dem Kaiser, was dem Kaiser (also dem Staat) gehört und Gott, was Gott gehört“, sagt Jesus. Aber es sieht danach aus, dass viele Menschen den zweiten Teil gestrichen haben.

 

Was sind wir aber Gott verpflichtet? Ich vermute, dass wir uns diese Frage nicht so oft stellen. Was sind wir Gott schuldig? Wie können wir Gott geben, was ihm gehört? Was ist das überhaupt?

 

Vor kurzem haben wir „Erntedank“ gefeiert. Wir sind also der Meinung, dass wir Gott danken müssen, z.B. für die lebensnotwendige Nahrung. Aber ist das alles? Was verdanken wir Gott noch alles? Unser Leben überhaupt? Die Tatsache, dass es uns überhaupt gibt? Stehen wir deswegen bei ihm nicht in der Schuld? Hat Gott nicht bestimmte Erwartungen an uns, die wir erfüllen sollten? Tun wir das? Geben wir Gott, was Gott zukommt?

Da fallen mir die Wort von Paulus in der ersten Lesung ein, wo er den Christen der griechischen Stadt Thessaloniki zuruft: „Wir sind sicher, liebe Brüder und Schwestern, dass Gott euch liebt.“ Gott liebt jede und jeden von uns. Realisieren wir uns, was das für uns persönlich bedeutet?

Teresa von Avila, die im 16. Jh. lebte und eine der berühmtesten Frauen in der Geschichte des Christentums wurde, betonte den Unterschied zwischen dem majestätisch großen Gott und dem Menschen, der so klein und niedlich ist wie ein Wurm. Und dieser Gott teilt jeden kleinen Wurm mit, dass er ihn liebt. Zu diesem erhabenen Gott darf ich, kleiner Wurm, eine Liebesbeziehung haben.

Auch Jesus hat so etwas Ähnliches gesagt: „Denkt doch einmal an die Spatzen und welchen Wert sie haben! Fünf von ihnen kann man um einen Spottpreis kaufen. Und doch kümmert sich Gott um jeden einzelnen von ihnen. Bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Ihr braucht also keine Angst zu haben! Ihr seid Gott mehr wert als alle Spatzen zusammen.“

Ich bin wer, ich bin wichtig, nicht so sehr weil ich im Leben Großartiges leiste, viel weiß, viel Geld und Besitz habe, sondern weil Gott mich liebt. Stärkt das nicht unheimlich unser Selbstbewusstsein? Kann da etwas anderes als große Dankbarkeit in uns entstehen? Kann ich so einen Gott in meinem Leben einfach links liegen lassen, nicht beachten? Kann ich meinen Glauben an ihn, mein Vertrauen zu ihm als etwas Nebensächliches betrachten? Muss ich mich da nicht, von mir selbst aus, aus dem Tiefsten meines Inneren, an ihn wenden, den Kontakt mit ihm suchen, eine tiefe Beziehung zu ihm entwickeln?

Gib dem Kaiser, dem Staat, dem gesellschaftlichen und dem materiellen Leben, was ihm gehört, aber auch Gott was Gott gehört! Tue ich das, genügend?                            

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